Montag, 4. September 2023

Transition - zurück in Guinea nach zweieinhalb Monaten Aufenthalt in der Schweiz

Sicher denkt Ihr, was dieser Betreff soll!?! Dieses Wort kannte ich nicht, bevor wir nach Guinea zogen. Nun hier ist es in aller (Expats-)Leute Mund: "how was your transition?" - Wie war deine Transition? Auf Deutsch: Übergang oder Umstellung. Unterdessen kenne ich dieses Wort resp. seine Bedeutung gut. Der Flug von der Schweiz nach Guinea ist jeweils der Beginn der "Transition". Bereits in Brüssel oder Paris beim Umsteigen kommen wir jeweils zum Gate und dort sind wir oft als Weisse deutlich in der Minderheit - Afrika beginnt bereits dort.
Aber nun einfach ein paar Worte zu unserem "Übergang" in den vergangenen Tagen. Dieses Mal war das Abschiednehmen und das Neu-Sicheinfinden viel einfacher als auch schon. Dies ist ein grosses Geschenk, und ich weiss auch, dass viele von euch dafür gebetet haben und an uns gedacht haben. Ich habe mich trotz Abschiedsschmerz richtig gefreut, wieder "nach Hause" zu gehen. Mit jedem Jahr hier in Guinea wachsen uns die Leute und die Arbeit mehr ans Herz. Die Reise verlief problemlos und unser Gepäck kam vollständig und ohne Schaden mit uns an. Das ist nicht selbstverständlich! Nicht vorzustellen, was mit dem vielen Gruyèrekäse geschehen würde, wenn ein Koffer tagelang irgendwo auf einem Flughafen stranden würde:-).

So waren unsere Körper sehr rasch wieder hier - die Seele braucht jeweils etwas länger.
Es ist einfach schwer zu beschreiben, wie anders die Welt hier ist! Heute Morgen versuchte ich es in Worte zu fassen, was denn eigentlich der Unterschied ist: vielleicht ist es das grosse "Gewusel", die Lebendigkeit, die Gerüche, "the way of life". Die Leute hier leben viel mehr im Kollektiv - selten sieht man jemanden alleine, immer und überall hört man Stimmen, Geschrei und Gelächter. Uns fiel in der Schweiz auf, dass es oft sehr ruhig ist in den Quartieren, keine Kinder auf der Strasse, keine Hühner, Schafe und Ziegen:-)
Wir müssen uns auch wieder an das komplett andere Klima gewöhnen - die 35 Grad in der Schweiz ertrugen wir viel besser als die 32 Grad hier mit der enorm hohen Luftfeuchtigkeit - fast nonstop sind wir nassgeschwitzt und dies ermüdet uns zur Zeit noch stark.
Kaum hatte das Flugzeug auf dem guineischen Boden aufgesetzt, begannen unsere Telefone zu klingeln. Wir wechseln nämlich unsere SIM-Karten jeweils bereits im Flugzeug. Hier ist es üblich, dass man nach langer Abwesenheit angerufen und begrüsst wird. Irgendwie scheinen alle im Umkreis von vielen Km zu wissen, dass wir lange weg waren. Die vielen Verkäuferinnen auf dem Markt, alle ehemaligen Schülerinnen, die Nachbarn, die Leute in der Kirche, der Polizist um die Ecke usw. So verbringen wir immer noch viel Zeit damit, von vielen Leuten begrüsst zu werden. Auch das ist doch so anders als in der Schweiz, n'est-ce pas? Alle erkundigen sich eingehend nach den Kindern, Grosskindern und Freunden. Jeder will wissen, ob alle wohlauf sind. Und Bürozeiten kennt man hier natürlich nicht. So kann es sein, dass das Telefon spät in der Nacht oder ganz früh am Morgen klingelt....
Viele haben auch auf uns gewartet, weil sie Bedürfnisse haben: kein Geld mehr haben, krank sind oder sonst ein Problem aufgetaucht ist während unserer Abwesenheit. Zu Beginn hat uns dies fast ein bisschen überwältigt und ehrlich gesagt auch gestresst. Wir versuchen zu hören, wo wir gefragt sind, und wo wir uns auch getrost abgrenzen können. Dies wird wohl so bleiben, so lange wir in Guinea sind.

Die Freude hier zu sein und die lieben Leute wieder zu sehen, wird auch überschattet von Ereignissen, die wir nicht einordnen können: eine junge Mutter stirbt während dem Kaiserschnitts ihres 3. Kindes - das Baby überlebt (übrigens eine von vielen Müttern, die während einer Geburt stirbt); Fatou, meine Kleinunternehmerin weiss nicht, wie sie alle die unvorhergesehenen Rechnungen bezahlen soll, die auf sie zukommen wie z. B. eine überhöhte Steuerrechnung oder eine ungerechtfertigte Mietzinserhöhung; Hortense und ihre Kinder waren alle lange und schwer krank - das Gehalt reicht nicht aus, um alle die Medikamente und Spitalbesuche zu bezahlen. Diese Situationen erscheinen mir oft so ungerecht, so schwierig und so unüberwindbar. Entmutigung will sich so breit machen.
Dann ist es einfach auch immer wieder gut, sich an den kleinen und manchmal auch grossen Dingen zu freuen, die es hier auch gibt. Und den Mut nicht aufgeben und zu wissen: wir machen das nicht allein, wir sind Teil einer weltweiten Gemeinschaft, die sich überall in der Welt für die Armen und Unterdrückten einsetzt.

Die Worte im Evangelium ermutigen uns weiterzumachen - der Wochenspruch für die kommende Woche aus den Losungen war so eine Ermutigung heute Morgen:
Christus sprich: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan. Matthäus 25,40b
 




Sonntag, 2. Januar 2022

Mein Jahr 2021 - ein Resümee!

Diese Tage zwischen den Jahren lassen auch uns hier in Guinea etwas Zeit, um über Vergangenes und Zukünftiges nachzudenken. Am 30. Dezember las ich einen Spruch, der mich nun so bewegt hat, dass ich es hier formulieren möchte, dieses Bewegtsein. Dieser Spruch half mir, mein Jahr 2021 zu verarbeiten und loszulassen:

Mit Kummer vertraut sein, doch ohne Bitterkeit leben; 

an sich zweifeln, doch nicht verzweifeln; 

die Verborgenhiet Gottes schmerzlich empfinden und dennoch hoffnungsvoll glauben. 

Um die eigene Schuld wissen und doch in der Gnade stehen. 

Manches entbehren und doch alles haben.

Ich nenne es Christsein. Marie Hüssing  

Mit Kummer vertraut sein: fast täglich höre ich hier eine traurige, kummervolle Nachricht: Kinder, junge Mütter und gesunde starke Männer sterben an Krankheiten, Geburten, Operationen. Unfälle, Krankheiten und Verletzungen lassen die Menschen in die Armut fallen. Arbeitslosigkeit, Korruption in Spitälern, Gerichten, Ministerien lassen Leute verzweifeln. Ich bin ein aussergewöhnlich gerechtigkeitsliebender Mensch, ertrage es so schlecht, wenn Schwache noch mehr geschwächt werden, und wetze gerne die Messer, wenn es ungerecht zu- und hergeht. Für die Enneagrammkenner: ich bin eine Acht. Wie überlebe ich hier gesund, ohne bitter zu werden? Seit ich in Afrika lebe, lernte ich schmerzlich, diese "Ungerechtigkeitsnot" in den Himmel zu klagen. Es bleibt mir oft nichts anderes übrig. Meine Fähigkeiten und Möglichkeiten sind beschränkt, ich kann nur den bekannten Tropfen auf dem heissen Stein bewirken. Alles andere muss ich Gott überlassen, und er spricht mir zu, dass er ein Gott des Rechts und der Gerechtigkeit ist, und dass eines Tages Recht gesprochen wird. Wenn ich auf das vertraue, werde ich nicht bitter: eines Tages wird von oberster Stelle Recht gesprochen werden, dann bekommen diese machtgeilen Regierungen, diese geldgierigen Ausbeuter und diese korrupten Beamten ihren gerechten Lohn.

Wir oft habe ich an mir gezweifelt! Ist es richtig, wie und was ich mache? Lohnt es sich? Hilft es? Macht es Sinn? Es ist gut zu hinterfragen, nachzufragen und andere Meinungen einzuholen. Doch dann muss ich auch wieder loslassen und vertrauen, dass mein Vater im Himmel es dann schon zurechtbiegt, das, was ich vielleicht verbockt habe - nicht verzweifeln, vertrauen.

Wie oft habe ich nichts von Gott gespürt, meine Gebete schienen bis zur Decke zu gehen. So oft bete ich um Heilung für Kranke und nichts passiert. So oft schreie ich zum Himmel und bitte, dass der Herr sich erbarmt, und es geschieht nichts Offensichtliches. Und dann wieder geschehen kleine Wunder, manchmal auch grosse, manchmal nur ein herzliches Lächeln, ein: "Es geht mir besser" und mein Glauben wird wieder gestärkt.

Und so oft bin ich schuldig geworden an meinen Mitmenschen! Ein gehässiges Wort an meinen Liebsten, eine ruppige Antwort an meine Hausangestellte, ein beleidigter Gedanke, weil ich wieder mal zu kurz zu kommen scheine. Wie oft schaue ich neidvoll auf meine Kolleginnen, die es offenbar besser machen; und leider noch vieles mehr. Wie könnte ich da weiterleben, ohne zu wissen, dass da einer ist, der dies alles auf sich geladen hat und mich immer wieder gnädig annimmt und mir vergibt?!

Ja, ich entbehre einiges, nicht wirklich viel Materielles, es sind eher die Beziehungen, die fehlen;  die Nähe zu unseren Kindern, und dieses Jahr besonders die Nähe zu unserem ersten Enkelkind. Uns fehlen die Sauberkeit der Schweiz, die Sicherheit auf den Strassen, die optimale Gesundheitsversorgung des Westens - und doch: so vieles wurde mir geschenkt im Überfluss. So viele Freunde, die aus der Ferne mit uns mitgehen, unser Enkelbub, der via Facetime uns sein Lächeln sendet, die Bewahrung auf der Strasse, die Gesundheit (Covidkrank waren wir notabene in der Schweiz), die vielen fröhlichen Kinder, die einfach immer und überall sind. Die Möglichkeit bekommen zu haben, eine Vision Realität werden zu lassen, für Menschen ein Geschenk sein zu dürfen. Doch alles haben!

Nicht dass ich dies alles im Griff hätte - bei weitem nicht. Es ist und soll mir ein Leitfaden sein für das neue Jahr, das bereits begonnen hat - was macht aus mir eine gute Christin? - Maria Hüsing braucht fünf Sätze, um es zu formulieren - lassen wir uns davon inspierieren und motivieren.


Best friends


Montag, 11. Oktober 2021

Was ist mein Auftrag?

Die Diskussionen in den westlichen Medien in den vergangenen Wochen haben wieder einmal meine Gedanken angeregt, und ich komme einmal mehr nicht drum herum, auch noch meinen Senf dazu zu geben. Wenn man, wie ich, nun seit bald drei Jahren in einem der ärmsten Länder Afrikas lebt, werden Meinungen, die man hatte und glaubte, dass die richtig sind, nochmals auf den Kopf gestellt. Die meiner Meinung nach absurden Diskussionen zur Coronaimpfung und - massnahmen lassen mir sogar weit weg noch die Haare zu Berge stehen. Wie kann es sein, dass gerade die frommen Christen sich so ins Thema hinein beissen und in den sozialen Medien massenhaft Zeit verbringen, um in bissigen Kommentaren ihre Meinung kund zu tun. Es erschüttert mich, wieviel Zeit und Kraft hier eingesetzt wird für eine Kontroverse, die sich einfach nicht auflösen lässt. Haben wir denn nichts anderes zu tun, als uns Verschwörungstheorien zu widmen und uns tage- und monatelang darüber aufzuregen, dass unsere Regierung ein Covidgesetz durchbringen will. Kirchenleitungen werden genötigt, Unmengen von Zeit einzusetzen, damit es jedem Gemeindeglied irgendwie recht ist und unbedingt konfortabel ist. Ich habe mich in den letzten Wochen immer wieder gefragt, welches der Treiber und die Motivation dieser Menschen sind, sich so in diese Thematik hineinsteigern - entschuldigt die Wortwahl, aber es kommt mir nichts anderes in den Sinn. Ich lese zurzeit gerade die Evangelien in der Bibel und bin fasziniert vom Leben Jesu auf dieser Erde. Ich bin wieder neu beeindruckt von seinem Verhalten und dem Lebenswandel - oder -stil. Er begegnet in den wenigen Jahren seines Wirkens so vielen verschiedenen Menschen, und ich kann so viel von ihm lernen. Jesus ist hauptsächlich damit beschäftigt, sich den Ärmsten, den Waisen, den Witwen, den Kranken, den Behinderten, den Bettlern, den Kindern, den Frauen, den Ausländern, den Verachteten, den Geächteten, den Sündern zuzuwenden. Und gleichzeitig verbringt er viel Zeit mit seinen Jüngern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Fischer und Zöllner, Überhebliche und Zweifelnde, Vorlaute und Scheue. Er lehrt sie - er zeigt ihnen geduldig den richtigen "way of life". ER sagt: "Lasst die Kinder, Zöllner, Geschiedenen, Leprösen und die jenigen, die von bösen Geistern besessen sind, zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich." ODER: "Wer von euch der Erste sein will, der wird der Letzte sein und umgekehrt." Und immer wieder ermutigt und motiviert er sie, sich den Ärmsten, den Geringsten, den Geringachteten anzunehmen und sagt ihnen, dass sie damit ihn selber, Jesus, aufnehmen. Was für eine Umkehrung der Werte! Nirgends fordert Jesus die Jünger auf, die Gesetze in Frage zu stellen, sich mit der Regierung anzulegen, sich um sich selber und das eigene Wohl zu drehen. Im Gegenteil, er verspricht uns, wenn wir uns dem Nächsten zuwenden, dann wird es hundertfach auf uns zurückfallen - wir werden einen grossen Lohn im Himmel haben. Hier in Guinea sind diejenigen Menschen privilegiert, die Zugang zur Coronaimpfung bekommen. Es käme niemandem in den Sinn, dagegen auf die Strasse zu gehen. Noch verrückter: wieder einmal mehr können wir hier beobachten, dass die Einflussreichsten und Geldreichsten auf wundersame Weise Zugang zur besten Impfung wie Johnson/Johnson oder AZ bekommen - das allgemeine Fussvolk freut nur schon, wenn sie nach stundenlangem Anstehen, die chinesische Variante bekommen.Das ist leider die Ordnung der Welt. Letzte Woche konnte ich einen Blick in die Neonatologie des Unispitals Conakry werfen: da liegen in vier einfachsten stickigen Räumen geschätzte 200 Babys, alle entweder zu früh geboren, zu krank, zu behindert, zu klein. Paar wenige Ärzte und Pflegepersonen versuchen das Schlimmste zu verhindern und haben mich doch so mutlos angeschaut - es fehlt an allem, die Mütter drücken den Winzlingen paar Tropfen Muttermilch in den Mund und hoffen, dass das Baby es schluckt und somit die nächsten Stunden überlebt. Da kam mir das Wort Jesu in den Sinn: das sind die Niedrigsten, die Ärmsten, die Geringgeachteten. Und für diese kam Jesus auf die Welt und er fordert uns auf, unser Leben für diese Menschen zu geben. Lasst uns aufhören, darüber zu debattieren, ob die Impfung uns schadet und uns nur 90 statt 95 Jahre alt werden lässt, konzentrieren wir uns wieder auf das Wesentliche, das was Jesus uns lehrt in den Evangelien und das immer noch topaktuell ist.
Haupteingang zur Neonatologie
Drillinge, die wahrscheinlich nicht überleben werden

Montag, 5. April 2021

Durchkreuzte Pläne

Ich schreibe diesen Post in der Schweiz, vor genau 5 Wochen sind wir in Zürich Flughafen gelandet - voller Vorfreude und Spannung, es sollten vier Wochen Ferien werden, in denen wir unseren neugeborenen Enkel Eli kennenlernen wollen.

Doch kaum in der Schweiz gelandet, erkranken zuerst mein Liebster und sechs Tage später auch ich an Corona - wahrscheinlich angesteckt im Testzentrum in Conakry, wo wir einen negativen Test bekamen, um fliegen zu können. Nun sitzen wir knapp drei Wochen in Isolation, krank, schwach, fiebrig, hustend, verschnupft und enttäuscht. Durchkreuzte Pläne - alles war so schön geplant, organisiert und budgetiert. Nun auf einmal ist alles anders. Schock, Trauer und Wut lösen sich ab. Gut gemeinte Worte wie: "Geniesst die Ruhezeit, sicher soll diese Zeit für etwas Gutes sein", wollen anfänglich nicht so geglaubt werden und trösten nicht. Doch dann kommen auch Gefühle und Gedanken der Dankbarkeit hinzu: wir sind in der Schweiz, wir sind medizinisch versorgt, die Spitex bringt uns die Medikamente, liebe Freunde kaufen ein und versorgen uns. Wir sind in der grösstmöglichen Sicherheit. Und viele Freunde leiden echt mit uns mit, so berührend ist das. Ich habe Zeit zum Nachdenken: wie flexibel bin ich? Wie reagiere ich, wenn meine Pläne nicht aufgehen? Auflehnung, Abwehr, Ergebung? Es hat ein bisschen von allem dabei. Irgendwann geht es dann aufwärts, wir geniessen nun das Grosselternsein intensiv und verschieben unsere Abreise um eine Woche. Vorsorglicherweise machen wir nochmals einen Test - dieser könne lange positiv bleiben, "ermutigen" uns einige Leute. Wir glauben nicht so recht daran - wir sind ja wieder einigermassen genesen. Doch leider kommt es genau so: mein Liebster, der eher krank wurde und schneller wieder gesund, ist noch positiv - und ich, noch rekonvaleszent, bin bereits wieder negativ. Wir können ja nur fliegen mit einem negativem Test. Und wieder geht es los: was sollen wir tun? Wer kann uns in Conakry vertreten? Wie lange dauert das an? Wieder umplanen, neue Unterkunft suchen, wir begnügen uns mit den wenigen Kleidern, die wir dabei haben. Gleichzeitig erwacht die Freude, die warmen Frühlingstage zu geniessen und mit Freunden und Familie Ostern feiern zu dürfen. Nochmals drei geschenkte Tage mit unseren Kindern. Langsam gewöhne ich mich an den Gedanken, alleine zurückzureisen. Vor ein paar Tagen wäre das noch keine Option gewesen, nun kommt eine Ruhe und Gelassenheit vom Himmel her - doch, ich kann es mir vorstellen, alleine zurückzufliegen. Und gleichzeitig bin ich überzeugt, dass der nächste Test in dieser Woche für BEIDE NEGATIV ausfallen wird. Wir wollen zurück in unsere zweite Heimat, wo wir erwartet, gebraucht und zu Hause sind. Und sollte es wieder nicht so kommen wie geplant: ich möchte lernen, meine Pläne durchkreuzen zu lassen, anzunehmen, was mir vor die Füsse gelegt wird und darauf zu vertrauen, dass aus Durchkreuztem Gerades und Entwirrtes wird. Es ist wieder ein Stück Lebensschule und etwas schmerzlich realisiere ich, dass ich noch lange nicht ausgelernt habe.




vor Abflug in Conakry

 

langes Anstehen und viele Kontrollen
gut geschützt....

Geschenkte Zeit  
Lago Maggiore im Vorfrühling - wir geniessen es!

Sonntag, 13. Dezember 2020

Weihnachten in Westafrika - Passt das?

 Nun erleben wir bereits die zweite Advents- und Weihnachtszeit hier in Guinea und auf Instagram, FB, WhatsAppstatus und Co. bewundere ich die Kollektionen von Weihnachtsbäckereien und -dekorationen, die mir aus Europa übermittelt werden. Alles sieht so wunderbar aus und duftet wohl auch gut - nur lässt sich dies über social media (leider noch) nicht übermitteln. Aber und wieder will sich bei mir keine so richtige weihnächtliche Stimmung einstellen. Sicher liegt es auch daran, dass es hier seit vielen Wochen einfach saumässig heiss und feucht ist, und ich von morgens bis abends und von abends bis morgens fast ununterbrochen schwitze. Beim Guetzlibacken schmolz der Teig und meine Lust zum backen in nullkommaplötzlich davon. Vorhin überlegte ich, ob ich wohl jetzt endlich heute - schlussendlich ist bereits der 3. Advent - das einzige aufgestellte Kerzli anzünden soll. Doch ich entschied mich wiederum dagegen - allein der Anblick einer Kerzenflamme treibt mir den Schweiss wieder aus allen Poren.

Doch es sind nicht nur das andere Klima, der fehlende Schnee und Weihnachtsmärkte, die diese festliche Stimmung dämpfen. Es ist etwas Anderes: hier in Guinea herrscht KEINE Weihnachtsstimmung, es gibt kein Glanz und Gloria, es existiert keine heile Welt. Der Grossteil der Menschen hier kämpft ums Überleben, sie sind geplagt von Krankheiten - Covid-19 ist noch die Harmloseste davon. Die Kinder sterben an Malaria, Durchfall und misslungenen Blinddarm-Operationen. Die Mütter sterben wegen mangelnder Hygiene bei der Geburt oder weil sie einfach zu schwach sind nach 8 und mehr Schwangerschaften. Sie leben zu zehnt auf 4 Quadratmeter, sie essen jeden Tag Reis mit Sauce. und das Wort Freitzeitbeschäftigung existiert nicht in ihrer Sprache. Die Kinder können nicht zur Logopädin, die Eltern gehen nicht in die Erziehungsberatung und es gibt keine Abklärung bei einer Lernschwäche. Die Väter bekommen auf dem Sanitätsposten die Medikamente und die ärztliche Behandlung für ihre Familie erst dann, wenn sie das Bargeld auf den Tisch legen. Anschliessend bekommen sie keinen Rückerstattungsbeleg für die Krankenkasse, weil es die nämlich gar nicht gibt. Überall liegt Dreck und Abfall, die Wasserleitungen werden nicht geflickt, und wenn kein Strom kommt, dann kommt halt keiner. Fertig. Schluss. 

Und da schiesst es vor einigen Tagen wie ein Blitz in mein Herz hinein, in dieses Herz, das gerade nur noch das Schwere, Traurige, Ungerechte und Unvollkommene sieht: genau in diese Welt ist unser HEILand, unser Retter und unser Immanuel-Gott mit uns - hineingeboren worden. Plötzlich kommt es mir vor, als wäre Conakry das Bethlehem von damals: stinkig, ärmlich, überfüllt mit heimatlosen Menschen. Schafe und Ziegen ziehen durch die Strassen - die Hirten kommen mir in den Sinn. Sie waren die Ersten, die das *Ehre sei Gott in der Höhe* hörten. Und mein Herz wird wieder froh: Weihnachten ist nicht Glanz, Glitter, Kerzenschein und Guetzliduft: Es wird Weihnachten überall da, wo der Friedefürst, Wunderrat und ewig Vater hineinkommt und Erlösung und Heilung bringt. Dieses kleine Baby im Stall von Bethlehem bringt Hoffnung und Frieden in die verlorene, stinkige, arme und ungerechte Welt - oh lasset uns anbeten, oh lasset uns anbeten den König der Könige!


Lasst uns einstimmen in das wunderbare Lied von Chris Tomlin:

In Bethlehem one holy night
A host of angels filled the sky
They sang to tell the world who weits
Our Savior comes this Christmas Day

God is with us, Christ our Savior
Jesus our Emmanuel
he shall reign our King forever
the hope of Israel (Guinea)

The wise men traveled from afar
They followed close a shining star
With costly gifts before Him lay
Our King was born this Christmas Day

Peace on earth, goodwill to men
Let violence and all hatred end
For born to us the Prince of Peace
This Christmas Day our song shall be

YOU`RE THE HOPE OF ISRAEL (GUINEA)



Sonntag, 20. September 2020

Katapult

Lange schon wäre ein Blogeintrag fällig - doch mein Hirn war mit so vielem anderem besetzt, dass ich keinen klaren Gedanken in die Tastatur hineinbrachte. Heute will ich es versuchen, schreiben ist ja bekanntlich hilfreich zum verarbeiten. Heute vor fünf Wochen haben wir in Zürich Flughafen eingecheckt und landeten knapp 12 Stunden später in Conakry. Es wäre eigentlich eine problemlose Reise, wenn nicht die weltumspannende Krankheit und Thema Nr. 1 mit uns geflogen wäre - Covid 19. Schon im Vorfeld gab es viele Unsicherheiten, -zig unterschiedlichste Informationen, Flugpreise, die täglich stiegen, Gültigkeitsdauer der Testresultate, die sich fast täglich verkürzten und Visa, die scheinbar nicht mehr gültig seien, obwohl wir unseres erst im Februar erneuerten. In Zürich waren wir zusammen sieben Erwachsene und zwei Kinder, die denselben Flug nahmen und beim Check-in bekamen alle eine andere Auskunft: bei den einen war das Visa gültig, bei den anderen nicht, obwohl es genau das Gleiche war. Bei den einen war der Covidtest ok, bei den anderen zu alt. Eine Kollegin, die für dieselbe Organisation arbeitet wie wir es tun, bekam die Auskunft, dass sie keine Berechtigung habe, in Guinea einzureisen; uns hingegen liessen sie durch. Der Puls und der Blutdruck waren schon angestiegen, als wir dann alle, wirklich alle, drei Minuten vor Schalterschluss durch die Schranke gingen. Dies verdanken wir dem guineischen Konsul in Genf, der doch tatsächlich am Sonntagmorgen früh an sein direktes Telefon ging und uns die Einreise per Emailbestätigung direkt an den Check-in Schalter bewilligte! "Wie wird das erst in Conakry bei der Imigration werden, wenn die bereits in Zürich so schwierig tun!" Dieser Satz ging uns allen durch Kopf und Herz. Doch oh Wunder, von da an lief alles wie geschmiert. In Conakry Flughafen ist alles gut organisiert, Füsse aufgemalt am Boden, überall genügend Leute, die peinlich darauf achteten, dass wir genau auf diese Füsse stehen. Bei der Passkontrolle war zwar noch etwas umständlich, aber wider allen Erwartens stehen wir bald einmal mit 9 Personen und total 17 Gepäckstücken und nochmals sovielen Handgepäcken auf dem Parkplatz, wo wir von unseren einheimischen Mitarbeitern herzlichst empfangen wurden. Unerklärlicherweise fehlt ein Gepäckstück - na ja, unsere Kollegen nehmen es gelassen, das wird schon noch irgendwann nachkommen.

Guinea hat uns wieder oder besser gesagt: wir haben Guinea wieder. Schon auf dem Weg nach Hause fühle ich mich wie von einem Katapult geschossen, hinein in eine andere Welt. Und so geht es mir die ersten 3-4 Wochen hier in Conakry. Obwohl ich bereits 15 Monate in Conakry gelebt habe, fühlt es sich gerade sehr komisch an. Der Unterschied zwischen Schweiz und Guinea könnte wohl nicht grösser sein. Durch den Lockdown bedingt haben wir in der Schweiz die Natur und die vielen Annehmlichkeiten wohl noch mehr genossen und es richtig in uns aufgesogen. Nun sind wir zurück in unserem Gastland ohne die rosarote Brille, die wir bei unserer ersten Einreise noch trugen. Die Realität wird mir schmerzlich vor Augen geführt. Dieser chaotische Verkehr, dieser Dreck, der vor allem in der jetzt herrschenden Regenzeit noch offensichtlicher ist, diese Armut überall. Es braucht doch einige Tage, bis ich mich wieder zurechtfinde, vor allem in meinen Gefühlen und Gedanken. Was ist es denn eigentlich, was mich hierher zurückgezogen hat? Es sind die Menschen! Wir werden überall so herzlich und freudig empfangen und begrüsst. Ich höre wieder die Kinder und das quirlige Leben auf der Strasse. Das ist es, was ich in der Schweiz vermisst habe! Die Leute freuen sich und können es nicht glauben, dass wir zurück sind. Sie meinten, wir seien auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Und nun sind sie wieder da, die Weissen! Und es macht Sinn, hier zu sein. Wir  haben viele Pläne und Ideen, wollen umsetzen, was wir in der Schweiz in unseren Köpfen ausgeheckt haben. Einiges wird gelingen, anderes nicht. Doch wir wissen, dass wir am richtigen Platz sind und die richtige Aufgabe haben.

Zwischenlandung in Mauretanien



 

           
Monsieur Pierre ist wieder da    
    
Und auch Madame...

Donnerstag, 16. April 2020

Zuhause in der Schweiz - wirklich zu Hause?

Das Ziel wäre gewesen, einen Blogbeitrag zu unserem einjährigen Guinea-Jubiläum zu schreiben - dies war Ende Januar 2020 fällig, der Entwurf ist immer noch vorhanden. Doch es kam nie zur Veröffentlichung. Die vergangenen zweieinhalb Monate waren die intensivsten, traurigsten, stressigsten und zugleich fröhlichsten Monate unserer Zeit hier in Conakry. Oh nein, Entschuldigung - während ich schreibe, sitze ich in unserem Haus in der Schweiz, die Sonne scheint mir ins Gesicht, die Amsel singt, und ich trage den dicken Pullover, damit ich nicht friere. Die Ereignisse überstürzten sich in den letzten vier Wochen, man kann es gar nicht in Worte fassen. Wir sind nun fünf Wochen früher als geplant in die Schweiz zurückgekehrt, weil uns leider das Coronavirus, wie fast allen anderen Menschen auf dieser Welt auch, einen Strich durch die Terminplanungsrechnung gemacht hat. Nach langem Hin und Her haben wir uns entschlossen, das Land bereits jetzt zu verlassen und in die sichere Schweiz zurückzukehren. Wir können für unsere Freunde in Guinea nicht mehr viel tun, Sie kennen besser als wir - auch wegen der überstandenen Ebolaepidemie - die Massnahmen, die man treffen kann und muss.

Noch nie in meinem Leben fühlte sich mein Herz so zweigeteilt an wie jetzt: ich fühle mich hier in der Schweiz aber auch dort in Conakry zu Hause. Seit ich hier bin, möchte ich dort sein - als ich dort war, wollte ich hier sein - natürlich auch und vor allem wegen unseren Kindern. Aber auch dort haben wir unsere Kinder, keine leiblichen zwar, aber viele ans Herz gewachsene. Ich bin hier in Sicherheit und habe alles und noch viel mehr, was ich zum Leben brauche - meine Freunde dort können nur von Tag zu Tag leben, auf der Suche nach Nahrung, nach sauberem Wasser für die jetzt so nötige Händehygiene und mit dem fast unmöglichen Versuch, das social distancing irgendwie einzuhalten.

Flughafen- und Grenzöffner
So beschäftigen mich die Fragen: wieso habe ich den schönen roten Pass, der mir einen Rückführungsflug ermöglicht hat und der mir eine Heimat garantiert, die zwar verändert ist, aber in meinen Augen der Himmel auf Erden ist? Ich habe eine Regierung, die für das Volk denkt, die jede Berufsgruppe irgendwie im Auge behält, die überlegt und weise handelt, die keinen eigenen Profit aus der schlimmen Lage schöpft und die versucht, gerecht für alle zu entscheiden. Im Laden hat es zwar gerade keinen Blätterteig mehr, aber morgen ist das Gestell wieder aufgefüllt. Wieso gerade ich und nicht meine Nachbarin in Conakry? Diese Fragen sind nicht neu, weder für dich noch für mich, aber heute gerade wieder sehr aktuell. Ich könnte den ganzen Tag nur danken für alles, was ich da einfach so habe und gleichzeitig weinen über diese Ungerechtigkeit in dieser Welt.
Dies alles motiviert mich aber unglaublich, weiter zu hoffen und zu glauben, dass unser Tropfen auf den heissen Stein weiterhin Früchte trägt, es motiviert uns, bereits wieder an eine Ausreise nach Guinea zu denken und zu hoffen, dass es bald wieder Flüge geben wird, die uns in das uns liebgewonnene Land und zu den lieben Leuten zurückbringen. Wir lassen uns von den vielen Schwierigkeiten nicht aufhalten, den Menschen Hoffnung zu bringen, sie zu ermutigen und sie auszubilden.
Ich wünsche mir sehr, dass auch wir Schweizer aus der Krise lernen, dass wir merken, dass weniger auch mehr sein kann. Wenn wir auf etwas verzichten, bleibt etwas mehr für diejenigen, die wenig oder nichts haben. Lasst uns diese Menschen nicht vergessen, sie können nichts dafür, dass sie keinen roten Pass haben!



Sie können es nicht glauben, dass wir weggehen!

Wie gross werden die sein, wenn wir zurückkommen?