Donnerstag, 16. April 2020

Zuhause in der Schweiz - wirklich zu Hause?

Das Ziel wäre gewesen, einen Blogbeitrag zu unserem einjährigen Guinea-Jubiläum zu schreiben - dies war Ende Januar 2020 fällig, der Entwurf ist immer noch vorhanden. Doch es kam nie zur Veröffentlichung. Die vergangenen zweieinhalb Monate waren die intensivsten, traurigsten, stressigsten und zugleich fröhlichsten Monate unserer Zeit hier in Conakry. Oh nein, Entschuldigung - während ich schreibe, sitze ich in unserem Haus in der Schweiz, die Sonne scheint mir ins Gesicht, die Amsel singt, und ich trage den dicken Pullover, damit ich nicht friere. Die Ereignisse überstürzten sich in den letzten vier Wochen, man kann es gar nicht in Worte fassen. Wir sind nun fünf Wochen früher als geplant in die Schweiz zurückgekehrt, weil uns leider das Coronavirus, wie fast allen anderen Menschen auf dieser Welt auch, einen Strich durch die Terminplanungsrechnung gemacht hat. Nach langem Hin und Her haben wir uns entschlossen, das Land bereits jetzt zu verlassen und in die sichere Schweiz zurückzukehren. Wir können für unsere Freunde in Guinea nicht mehr viel tun, Sie kennen besser als wir - auch wegen der überstandenen Ebolaepidemie - die Massnahmen, die man treffen kann und muss.

Noch nie in meinem Leben fühlte sich mein Herz so zweigeteilt an wie jetzt: ich fühle mich hier in der Schweiz aber auch dort in Conakry zu Hause. Seit ich hier bin, möchte ich dort sein - als ich dort war, wollte ich hier sein - natürlich auch und vor allem wegen unseren Kindern. Aber auch dort haben wir unsere Kinder, keine leiblichen zwar, aber viele ans Herz gewachsene. Ich bin hier in Sicherheit und habe alles und noch viel mehr, was ich zum Leben brauche - meine Freunde dort können nur von Tag zu Tag leben, auf der Suche nach Nahrung, nach sauberem Wasser für die jetzt so nötige Händehygiene und mit dem fast unmöglichen Versuch, das social distancing irgendwie einzuhalten.

Flughafen- und Grenzöffner
So beschäftigen mich die Fragen: wieso habe ich den schönen roten Pass, der mir einen Rückführungsflug ermöglicht hat und der mir eine Heimat garantiert, die zwar verändert ist, aber in meinen Augen der Himmel auf Erden ist? Ich habe eine Regierung, die für das Volk denkt, die jede Berufsgruppe irgendwie im Auge behält, die überlegt und weise handelt, die keinen eigenen Profit aus der schlimmen Lage schöpft und die versucht, gerecht für alle zu entscheiden. Im Laden hat es zwar gerade keinen Blätterteig mehr, aber morgen ist das Gestell wieder aufgefüllt. Wieso gerade ich und nicht meine Nachbarin in Conakry? Diese Fragen sind nicht neu, weder für dich noch für mich, aber heute gerade wieder sehr aktuell. Ich könnte den ganzen Tag nur danken für alles, was ich da einfach so habe und gleichzeitig weinen über diese Ungerechtigkeit in dieser Welt.
Dies alles motiviert mich aber unglaublich, weiter zu hoffen und zu glauben, dass unser Tropfen auf den heissen Stein weiterhin Früchte trägt, es motiviert uns, bereits wieder an eine Ausreise nach Guinea zu denken und zu hoffen, dass es bald wieder Flüge geben wird, die uns in das uns liebgewonnene Land und zu den lieben Leuten zurückbringen. Wir lassen uns von den vielen Schwierigkeiten nicht aufhalten, den Menschen Hoffnung zu bringen, sie zu ermutigen und sie auszubilden.
Ich wünsche mir sehr, dass auch wir Schweizer aus der Krise lernen, dass wir merken, dass weniger auch mehr sein kann. Wenn wir auf etwas verzichten, bleibt etwas mehr für diejenigen, die wenig oder nichts haben. Lasst uns diese Menschen nicht vergessen, sie können nichts dafür, dass sie keinen roten Pass haben!



Sie können es nicht glauben, dass wir weggehen!

Wie gross werden die sein, wenn wir zurückkommen?