Freitag, 29. März 2019

Armut - was geht mich das an?

Seit wir in Conakry leben, werden wir auf Schritt und Tritt mit Armut konfrontiert - manchmal ist es für mich schwierig, alles einzuordnen: einerseits diese Bilder hier, diese Situationen, unsere Nächsten, die in tiefster Armut leben. Anderseits die Bilder, die wir aus der Schweiz und Deutschland erhalten: alles ist schön, sauber, ja auch luxeriös, Bilder von feinem Essen, schönen Restaurants, wunderbaren Skigebieten usw. Und wir sind da irgendwo dazwischen. Bedrückt mich die Armut so, dass ich nicht mehr froh sein kann oder schaue ich nicht hin, werde ich immun dagegen? Ich merke, dass beides schlecht ist und mir nicht gut tut. Eine Freundin schreibt mir diese Tage: es hilft, mit Armut umzugehen, wenn man konkret etwas dagegen tun kann. Es muss nichts Grosses sein, aber es soll tatkräftig sein. Und so geht es mir hier dann auch so: wenn ich mich jemandem zuwenden kann, etwas Kleines oder Grosses tue, dann weicht das lähmende Gefühl "es ist so unmöglich" von mir. Je länger ich hier bin, merke ich, wie sensibler und empfänglicher ich für kleine schöne Dinge werde: die Begegnungen im Quartier mit unseren armen Nachbarn sind oft so grosse Geschenke für mich: eine Zeichnung, die ich geschenkt bekomme, hingebungsvoll von einem Mädchen nebenan gezeichnet, berührt mein Herz stark. Oder der Automechaniker, der nebenan von der Hand in den Mund lebt und unser Auto provisorisch flickt, damit wir rasch auf den Markt können, könnte ich grad umarmen vor Dankbarkeit - was ich natürlich nicht mache... Und er will kein Geld dafür, hier, wo man für alles immer und überall vorab bezahlen muss! Ich überlege, warum dies so ist - diese neue Sensibilität: ich glaube es ist, weil ich hier nicht im Überfluss lebe, weil ich nicht alles und sofort instant mir besorgen kann. Ich bin froh, dass ich dies noch erleben kann mit meinen über 50 Jahren. Und ich wünsche mir, dass wir in der Schweiz auch wieder achtsamer werden für die kleinen schönen Dinge.

Freitag, 8. März 2019

Kakimbo - unsere neue Heimat

Wenn ich morgens aufwache, muss ich noch immer wieder studieren, ob wir nun wirklich hier wohnen - hier in dieser grossen Stadt Conakry, der Hauptstadt Guineas. Vieles erscheint uns immer noch so unwirklich - diese neue Welt - unser Leben ist komplett auf den Kopf gestellt. Währenddem ich hier schreibe, sitzt mein Mann bei uns im Garten im sogenannten Rondell zusammen mit 5 Nachbarsjungen im Alter von 5 - 8 Jahren, die er heute Morgen kennengelernt hat: Sie erzählten ihm, dass sie nicht zur Schule gehen, weil die Eltern das Schulgeld nicht bezahlen können. Also hat er sie kurzerhand eingeladen, um mit ihnen zu zeichnen, schreiben und Papierflieger zu basteln. Draussen vor dem Tor stehen noch einige andere Jungs, die auch kommen wollen und die immer wieder rufen. Unser Quartier Kakimbo, wo wir wohnen, ist dichtbevölkert. Die meisten Häuser sind sehr ärmlich und die Leute holen das Wasser bei der Wasserstelle. Und überall hat es Kinder, viele Kinder. Hier in Guinea werden die Kinder bis zweijährig verhätschelt, rumgetragen, gestillt und sie weinen nie. Sobald ein Geschwisterchen kommt, ist die schöne Zeit vorbei. Ab circa zweijährig laufen sie oft alleine durchs Quartier, bestenfalls schaut eine Schwester oder ein Bruder zu ihnen. Viele Kinder gehen nicht zur Schule, eben wie erwähnt wegen dem fehlenden Schulgeld. Jedes Kind, das zur Schule will, braucht eine Uniform- eine beige Hose und eine beige Bluse, geschlossene Schuhe und einen Rucksack oder ähnliches. Dazu kommt das Schulgeld, monatlich ca. 5 Euro. Viele können das nicht bezahlen und so bleiben die Kinder halt zu Hause, lungern irgendwo rum oder müssen zu Hause hart arbeiten. Diese Kinder haben sozusagen keine Chance weiterzukommen. Bildung verändert Leben, ein wichtiger Grundsatz unserer Organisation - und nun sehen wir hier praktisch, wie nötig das ist.
Unsere Prioritäten haben sich sehr verändert - vieles, das uns in der Schweiz wichtig war, hat hier absolut keine Relevanz mehr. Hier gibt es zum Beispiel nicht 15 verschiedene Einrichtungshäuser mit diesen Sachen für "schöner Wohnen": hier bin ich froh, wenn ich überhaupt eine Nachttischlampe finde - meine Lieblingsfarbe ist auch nie dabei.
Heute Morgen machten wir einen Besuch im Augenspital, das eine Mitarbeiterin unserer Organisation vor bald 15 Jahren gegründet hat: auch hier sind die Verhältnisse so komplett anders als in der Schweiz: Die Wartezimmer überfüllt, die Wartezeiten sehr lange, die Geräte sehr einfach, überall Leute und ein Durcheinander, das aber irgendwie zu funktionieren scheint - man könnte es sich bei uns nicht vorstellen. Hier ist man einfach nur froh, wenn man die Möglichkeit bekommt, dass ein Augenarzt in die Augen schaut und bei Bedarf z. B. den Grauen Star für umgerechnet ca. 60 Euro operiert. Im Falle einer OP kommt noch ein Teil der Familie mit und bringt die Verpflegung für den Patienten mit.
Auf unserem regelmässigen Spaziergang zum Meer runter, begegnen wir vielen Menschen, vor allem Kinder - wir reden, wir fragen nach und wir bekommen viel Herzlichkeit, Fröhlichkeit und Dankbarkeit geschenkt. Es scheint einem, dass hier niemand einsam ist - die Guineer schauen zueinander, sie leben Gemeinschaft. Und wir werden mitten hinein genommen. Das ermutigt uns weiterzumachen, mit den vielen "kleinen Tropfen" auf dem heissen Stein zu leben. Lohnt es sich? Lohnt es sich nicht? Wir denken, jedes Lächeln, jede kleine Geste lohnt sich und wir werden selber beschenkt dabei.
Bügeln - etwas einfacher dafür stromunabhängig

Wartesaal in der Augenklinik mit der Fondatrice

Instrumente bereit für die Augenoperationen

OP-Tisch bereit mit Mikroskop
Der letzte Schrei von Nachttischlampen - bisschen retro - nicht?