Montag, 11. Oktober 2021

Was ist mein Auftrag?

Die Diskussionen in den westlichen Medien in den vergangenen Wochen haben wieder einmal meine Gedanken angeregt, und ich komme einmal mehr nicht drum herum, auch noch meinen Senf dazu zu geben. Wenn man, wie ich, nun seit bald drei Jahren in einem der ärmsten Länder Afrikas lebt, werden Meinungen, die man hatte und glaubte, dass die richtig sind, nochmals auf den Kopf gestellt. Die meiner Meinung nach absurden Diskussionen zur Coronaimpfung und - massnahmen lassen mir sogar weit weg noch die Haare zu Berge stehen. Wie kann es sein, dass gerade die frommen Christen sich so ins Thema hinein beissen und in den sozialen Medien massenhaft Zeit verbringen, um in bissigen Kommentaren ihre Meinung kund zu tun. Es erschüttert mich, wieviel Zeit und Kraft hier eingesetzt wird für eine Kontroverse, die sich einfach nicht auflösen lässt. Haben wir denn nichts anderes zu tun, als uns Verschwörungstheorien zu widmen und uns tage- und monatelang darüber aufzuregen, dass unsere Regierung ein Covidgesetz durchbringen will. Kirchenleitungen werden genötigt, Unmengen von Zeit einzusetzen, damit es jedem Gemeindeglied irgendwie recht ist und unbedingt konfortabel ist. Ich habe mich in den letzten Wochen immer wieder gefragt, welches der Treiber und die Motivation dieser Menschen sind, sich so in diese Thematik hineinsteigern - entschuldigt die Wortwahl, aber es kommt mir nichts anderes in den Sinn. Ich lese zurzeit gerade die Evangelien in der Bibel und bin fasziniert vom Leben Jesu auf dieser Erde. Ich bin wieder neu beeindruckt von seinem Verhalten und dem Lebenswandel - oder -stil. Er begegnet in den wenigen Jahren seines Wirkens so vielen verschiedenen Menschen, und ich kann so viel von ihm lernen. Jesus ist hauptsächlich damit beschäftigt, sich den Ärmsten, den Waisen, den Witwen, den Kranken, den Behinderten, den Bettlern, den Kindern, den Frauen, den Ausländern, den Verachteten, den Geächteten, den Sündern zuzuwenden. Und gleichzeitig verbringt er viel Zeit mit seinen Jüngern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Fischer und Zöllner, Überhebliche und Zweifelnde, Vorlaute und Scheue. Er lehrt sie - er zeigt ihnen geduldig den richtigen "way of life". ER sagt: "Lasst die Kinder, Zöllner, Geschiedenen, Leprösen und die jenigen, die von bösen Geistern besessen sind, zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich." ODER: "Wer von euch der Erste sein will, der wird der Letzte sein und umgekehrt." Und immer wieder ermutigt und motiviert er sie, sich den Ärmsten, den Geringsten, den Geringachteten anzunehmen und sagt ihnen, dass sie damit ihn selber, Jesus, aufnehmen. Was für eine Umkehrung der Werte! Nirgends fordert Jesus die Jünger auf, die Gesetze in Frage zu stellen, sich mit der Regierung anzulegen, sich um sich selber und das eigene Wohl zu drehen. Im Gegenteil, er verspricht uns, wenn wir uns dem Nächsten zuwenden, dann wird es hundertfach auf uns zurückfallen - wir werden einen grossen Lohn im Himmel haben. Hier in Guinea sind diejenigen Menschen privilegiert, die Zugang zur Coronaimpfung bekommen. Es käme niemandem in den Sinn, dagegen auf die Strasse zu gehen. Noch verrückter: wieder einmal mehr können wir hier beobachten, dass die Einflussreichsten und Geldreichsten auf wundersame Weise Zugang zur besten Impfung wie Johnson/Johnson oder AZ bekommen - das allgemeine Fussvolk freut nur schon, wenn sie nach stundenlangem Anstehen, die chinesische Variante bekommen.Das ist leider die Ordnung der Welt. Letzte Woche konnte ich einen Blick in die Neonatologie des Unispitals Conakry werfen: da liegen in vier einfachsten stickigen Räumen geschätzte 200 Babys, alle entweder zu früh geboren, zu krank, zu behindert, zu klein. Paar wenige Ärzte und Pflegepersonen versuchen das Schlimmste zu verhindern und haben mich doch so mutlos angeschaut - es fehlt an allem, die Mütter drücken den Winzlingen paar Tropfen Muttermilch in den Mund und hoffen, dass das Baby es schluckt und somit die nächsten Stunden überlebt. Da kam mir das Wort Jesu in den Sinn: das sind die Niedrigsten, die Ärmsten, die Geringgeachteten. Und für diese kam Jesus auf die Welt und er fordert uns auf, unser Leben für diese Menschen zu geben. Lasst uns aufhören, darüber zu debattieren, ob die Impfung uns schadet und uns nur 90 statt 95 Jahre alt werden lässt, konzentrieren wir uns wieder auf das Wesentliche, das was Jesus uns lehrt in den Evangelien und das immer noch topaktuell ist.
Haupteingang zur Neonatologie
Drillinge, die wahrscheinlich nicht überleben werden

Montag, 5. April 2021

Durchkreuzte Pläne

Ich schreibe diesen Post in der Schweiz, vor genau 5 Wochen sind wir in Zürich Flughafen gelandet - voller Vorfreude und Spannung, es sollten vier Wochen Ferien werden, in denen wir unseren neugeborenen Enkel Eli kennenlernen wollen.

Doch kaum in der Schweiz gelandet, erkranken zuerst mein Liebster und sechs Tage später auch ich an Corona - wahrscheinlich angesteckt im Testzentrum in Conakry, wo wir einen negativen Test bekamen, um fliegen zu können. Nun sitzen wir knapp drei Wochen in Isolation, krank, schwach, fiebrig, hustend, verschnupft und enttäuscht. Durchkreuzte Pläne - alles war so schön geplant, organisiert und budgetiert. Nun auf einmal ist alles anders. Schock, Trauer und Wut lösen sich ab. Gut gemeinte Worte wie: "Geniesst die Ruhezeit, sicher soll diese Zeit für etwas Gutes sein", wollen anfänglich nicht so geglaubt werden und trösten nicht. Doch dann kommen auch Gefühle und Gedanken der Dankbarkeit hinzu: wir sind in der Schweiz, wir sind medizinisch versorgt, die Spitex bringt uns die Medikamente, liebe Freunde kaufen ein und versorgen uns. Wir sind in der grösstmöglichen Sicherheit. Und viele Freunde leiden echt mit uns mit, so berührend ist das. Ich habe Zeit zum Nachdenken: wie flexibel bin ich? Wie reagiere ich, wenn meine Pläne nicht aufgehen? Auflehnung, Abwehr, Ergebung? Es hat ein bisschen von allem dabei. Irgendwann geht es dann aufwärts, wir geniessen nun das Grosselternsein intensiv und verschieben unsere Abreise um eine Woche. Vorsorglicherweise machen wir nochmals einen Test - dieser könne lange positiv bleiben, "ermutigen" uns einige Leute. Wir glauben nicht so recht daran - wir sind ja wieder einigermassen genesen. Doch leider kommt es genau so: mein Liebster, der eher krank wurde und schneller wieder gesund, ist noch positiv - und ich, noch rekonvaleszent, bin bereits wieder negativ. Wir können ja nur fliegen mit einem negativem Test. Und wieder geht es los: was sollen wir tun? Wer kann uns in Conakry vertreten? Wie lange dauert das an? Wieder umplanen, neue Unterkunft suchen, wir begnügen uns mit den wenigen Kleidern, die wir dabei haben. Gleichzeitig erwacht die Freude, die warmen Frühlingstage zu geniessen und mit Freunden und Familie Ostern feiern zu dürfen. Nochmals drei geschenkte Tage mit unseren Kindern. Langsam gewöhne ich mich an den Gedanken, alleine zurückzureisen. Vor ein paar Tagen wäre das noch keine Option gewesen, nun kommt eine Ruhe und Gelassenheit vom Himmel her - doch, ich kann es mir vorstellen, alleine zurückzufliegen. Und gleichzeitig bin ich überzeugt, dass der nächste Test in dieser Woche für BEIDE NEGATIV ausfallen wird. Wir wollen zurück in unsere zweite Heimat, wo wir erwartet, gebraucht und zu Hause sind. Und sollte es wieder nicht so kommen wie geplant: ich möchte lernen, meine Pläne durchkreuzen zu lassen, anzunehmen, was mir vor die Füsse gelegt wird und darauf zu vertrauen, dass aus Durchkreuztem Gerades und Entwirrtes wird. Es ist wieder ein Stück Lebensschule und etwas schmerzlich realisiere ich, dass ich noch lange nicht ausgelernt habe.




vor Abflug in Conakry

 

langes Anstehen und viele Kontrollen
gut geschützt....

Geschenkte Zeit  
Lago Maggiore im Vorfrühling - wir geniessen es!