Sonntag, 13. Dezember 2020

Weihnachten in Westafrika - Passt das?

 Nun erleben wir bereits die zweite Advents- und Weihnachtszeit hier in Guinea und auf Instagram, FB, WhatsAppstatus und Co. bewundere ich die Kollektionen von Weihnachtsbäckereien und -dekorationen, die mir aus Europa übermittelt werden. Alles sieht so wunderbar aus und duftet wohl auch gut - nur lässt sich dies über social media (leider noch) nicht übermitteln. Aber und wieder will sich bei mir keine so richtige weihnächtliche Stimmung einstellen. Sicher liegt es auch daran, dass es hier seit vielen Wochen einfach saumässig heiss und feucht ist, und ich von morgens bis abends und von abends bis morgens fast ununterbrochen schwitze. Beim Guetzlibacken schmolz der Teig und meine Lust zum backen in nullkommaplötzlich davon. Vorhin überlegte ich, ob ich wohl jetzt endlich heute - schlussendlich ist bereits der 3. Advent - das einzige aufgestellte Kerzli anzünden soll. Doch ich entschied mich wiederum dagegen - allein der Anblick einer Kerzenflamme treibt mir den Schweiss wieder aus allen Poren.

Doch es sind nicht nur das andere Klima, der fehlende Schnee und Weihnachtsmärkte, die diese festliche Stimmung dämpfen. Es ist etwas Anderes: hier in Guinea herrscht KEINE Weihnachtsstimmung, es gibt kein Glanz und Gloria, es existiert keine heile Welt. Der Grossteil der Menschen hier kämpft ums Überleben, sie sind geplagt von Krankheiten - Covid-19 ist noch die Harmloseste davon. Die Kinder sterben an Malaria, Durchfall und misslungenen Blinddarm-Operationen. Die Mütter sterben wegen mangelnder Hygiene bei der Geburt oder weil sie einfach zu schwach sind nach 8 und mehr Schwangerschaften. Sie leben zu zehnt auf 4 Quadratmeter, sie essen jeden Tag Reis mit Sauce. und das Wort Freitzeitbeschäftigung existiert nicht in ihrer Sprache. Die Kinder können nicht zur Logopädin, die Eltern gehen nicht in die Erziehungsberatung und es gibt keine Abklärung bei einer Lernschwäche. Die Väter bekommen auf dem Sanitätsposten die Medikamente und die ärztliche Behandlung für ihre Familie erst dann, wenn sie das Bargeld auf den Tisch legen. Anschliessend bekommen sie keinen Rückerstattungsbeleg für die Krankenkasse, weil es die nämlich gar nicht gibt. Überall liegt Dreck und Abfall, die Wasserleitungen werden nicht geflickt, und wenn kein Strom kommt, dann kommt halt keiner. Fertig. Schluss. 

Und da schiesst es vor einigen Tagen wie ein Blitz in mein Herz hinein, in dieses Herz, das gerade nur noch das Schwere, Traurige, Ungerechte und Unvollkommene sieht: genau in diese Welt ist unser HEILand, unser Retter und unser Immanuel-Gott mit uns - hineingeboren worden. Plötzlich kommt es mir vor, als wäre Conakry das Bethlehem von damals: stinkig, ärmlich, überfüllt mit heimatlosen Menschen. Schafe und Ziegen ziehen durch die Strassen - die Hirten kommen mir in den Sinn. Sie waren die Ersten, die das *Ehre sei Gott in der Höhe* hörten. Und mein Herz wird wieder froh: Weihnachten ist nicht Glanz, Glitter, Kerzenschein und Guetzliduft: Es wird Weihnachten überall da, wo der Friedefürst, Wunderrat und ewig Vater hineinkommt und Erlösung und Heilung bringt. Dieses kleine Baby im Stall von Bethlehem bringt Hoffnung und Frieden in die verlorene, stinkige, arme und ungerechte Welt - oh lasset uns anbeten, oh lasset uns anbeten den König der Könige!


Lasst uns einstimmen in das wunderbare Lied von Chris Tomlin:

In Bethlehem one holy night
A host of angels filled the sky
They sang to tell the world who weits
Our Savior comes this Christmas Day

God is with us, Christ our Savior
Jesus our Emmanuel
he shall reign our King forever
the hope of Israel (Guinea)

The wise men traveled from afar
They followed close a shining star
With costly gifts before Him lay
Our King was born this Christmas Day

Peace on earth, goodwill to men
Let violence and all hatred end
For born to us the Prince of Peace
This Christmas Day our song shall be

YOU`RE THE HOPE OF ISRAEL (GUINEA)



Sonntag, 20. September 2020

Katapult

Lange schon wäre ein Blogeintrag fällig - doch mein Hirn war mit so vielem anderem besetzt, dass ich keinen klaren Gedanken in die Tastatur hineinbrachte. Heute will ich es versuchen, schreiben ist ja bekanntlich hilfreich zum verarbeiten. Heute vor fünf Wochen haben wir in Zürich Flughafen eingecheckt und landeten knapp 12 Stunden später in Conakry. Es wäre eigentlich eine problemlose Reise, wenn nicht die weltumspannende Krankheit und Thema Nr. 1 mit uns geflogen wäre - Covid 19. Schon im Vorfeld gab es viele Unsicherheiten, -zig unterschiedlichste Informationen, Flugpreise, die täglich stiegen, Gültigkeitsdauer der Testresultate, die sich fast täglich verkürzten und Visa, die scheinbar nicht mehr gültig seien, obwohl wir unseres erst im Februar erneuerten. In Zürich waren wir zusammen sieben Erwachsene und zwei Kinder, die denselben Flug nahmen und beim Check-in bekamen alle eine andere Auskunft: bei den einen war das Visa gültig, bei den anderen nicht, obwohl es genau das Gleiche war. Bei den einen war der Covidtest ok, bei den anderen zu alt. Eine Kollegin, die für dieselbe Organisation arbeitet wie wir es tun, bekam die Auskunft, dass sie keine Berechtigung habe, in Guinea einzureisen; uns hingegen liessen sie durch. Der Puls und der Blutdruck waren schon angestiegen, als wir dann alle, wirklich alle, drei Minuten vor Schalterschluss durch die Schranke gingen. Dies verdanken wir dem guineischen Konsul in Genf, der doch tatsächlich am Sonntagmorgen früh an sein direktes Telefon ging und uns die Einreise per Emailbestätigung direkt an den Check-in Schalter bewilligte! "Wie wird das erst in Conakry bei der Imigration werden, wenn die bereits in Zürich so schwierig tun!" Dieser Satz ging uns allen durch Kopf und Herz. Doch oh Wunder, von da an lief alles wie geschmiert. In Conakry Flughafen ist alles gut organisiert, Füsse aufgemalt am Boden, überall genügend Leute, die peinlich darauf achteten, dass wir genau auf diese Füsse stehen. Bei der Passkontrolle war zwar noch etwas umständlich, aber wider allen Erwartens stehen wir bald einmal mit 9 Personen und total 17 Gepäckstücken und nochmals sovielen Handgepäcken auf dem Parkplatz, wo wir von unseren einheimischen Mitarbeitern herzlichst empfangen wurden. Unerklärlicherweise fehlt ein Gepäckstück - na ja, unsere Kollegen nehmen es gelassen, das wird schon noch irgendwann nachkommen.

Guinea hat uns wieder oder besser gesagt: wir haben Guinea wieder. Schon auf dem Weg nach Hause fühle ich mich wie von einem Katapult geschossen, hinein in eine andere Welt. Und so geht es mir die ersten 3-4 Wochen hier in Conakry. Obwohl ich bereits 15 Monate in Conakry gelebt habe, fühlt es sich gerade sehr komisch an. Der Unterschied zwischen Schweiz und Guinea könnte wohl nicht grösser sein. Durch den Lockdown bedingt haben wir in der Schweiz die Natur und die vielen Annehmlichkeiten wohl noch mehr genossen und es richtig in uns aufgesogen. Nun sind wir zurück in unserem Gastland ohne die rosarote Brille, die wir bei unserer ersten Einreise noch trugen. Die Realität wird mir schmerzlich vor Augen geführt. Dieser chaotische Verkehr, dieser Dreck, der vor allem in der jetzt herrschenden Regenzeit noch offensichtlicher ist, diese Armut überall. Es braucht doch einige Tage, bis ich mich wieder zurechtfinde, vor allem in meinen Gefühlen und Gedanken. Was ist es denn eigentlich, was mich hierher zurückgezogen hat? Es sind die Menschen! Wir werden überall so herzlich und freudig empfangen und begrüsst. Ich höre wieder die Kinder und das quirlige Leben auf der Strasse. Das ist es, was ich in der Schweiz vermisst habe! Die Leute freuen sich und können es nicht glauben, dass wir zurück sind. Sie meinten, wir seien auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Und nun sind sie wieder da, die Weissen! Und es macht Sinn, hier zu sein. Wir  haben viele Pläne und Ideen, wollen umsetzen, was wir in der Schweiz in unseren Köpfen ausgeheckt haben. Einiges wird gelingen, anderes nicht. Doch wir wissen, dass wir am richtigen Platz sind und die richtige Aufgabe haben.

Zwischenlandung in Mauretanien



 

           
Monsieur Pierre ist wieder da    
    
Und auch Madame...

Donnerstag, 16. April 2020

Zuhause in der Schweiz - wirklich zu Hause?

Das Ziel wäre gewesen, einen Blogbeitrag zu unserem einjährigen Guinea-Jubiläum zu schreiben - dies war Ende Januar 2020 fällig, der Entwurf ist immer noch vorhanden. Doch es kam nie zur Veröffentlichung. Die vergangenen zweieinhalb Monate waren die intensivsten, traurigsten, stressigsten und zugleich fröhlichsten Monate unserer Zeit hier in Conakry. Oh nein, Entschuldigung - während ich schreibe, sitze ich in unserem Haus in der Schweiz, die Sonne scheint mir ins Gesicht, die Amsel singt, und ich trage den dicken Pullover, damit ich nicht friere. Die Ereignisse überstürzten sich in den letzten vier Wochen, man kann es gar nicht in Worte fassen. Wir sind nun fünf Wochen früher als geplant in die Schweiz zurückgekehrt, weil uns leider das Coronavirus, wie fast allen anderen Menschen auf dieser Welt auch, einen Strich durch die Terminplanungsrechnung gemacht hat. Nach langem Hin und Her haben wir uns entschlossen, das Land bereits jetzt zu verlassen und in die sichere Schweiz zurückzukehren. Wir können für unsere Freunde in Guinea nicht mehr viel tun, Sie kennen besser als wir - auch wegen der überstandenen Ebolaepidemie - die Massnahmen, die man treffen kann und muss.

Noch nie in meinem Leben fühlte sich mein Herz so zweigeteilt an wie jetzt: ich fühle mich hier in der Schweiz aber auch dort in Conakry zu Hause. Seit ich hier bin, möchte ich dort sein - als ich dort war, wollte ich hier sein - natürlich auch und vor allem wegen unseren Kindern. Aber auch dort haben wir unsere Kinder, keine leiblichen zwar, aber viele ans Herz gewachsene. Ich bin hier in Sicherheit und habe alles und noch viel mehr, was ich zum Leben brauche - meine Freunde dort können nur von Tag zu Tag leben, auf der Suche nach Nahrung, nach sauberem Wasser für die jetzt so nötige Händehygiene und mit dem fast unmöglichen Versuch, das social distancing irgendwie einzuhalten.

Flughafen- und Grenzöffner
So beschäftigen mich die Fragen: wieso habe ich den schönen roten Pass, der mir einen Rückführungsflug ermöglicht hat und der mir eine Heimat garantiert, die zwar verändert ist, aber in meinen Augen der Himmel auf Erden ist? Ich habe eine Regierung, die für das Volk denkt, die jede Berufsgruppe irgendwie im Auge behält, die überlegt und weise handelt, die keinen eigenen Profit aus der schlimmen Lage schöpft und die versucht, gerecht für alle zu entscheiden. Im Laden hat es zwar gerade keinen Blätterteig mehr, aber morgen ist das Gestell wieder aufgefüllt. Wieso gerade ich und nicht meine Nachbarin in Conakry? Diese Fragen sind nicht neu, weder für dich noch für mich, aber heute gerade wieder sehr aktuell. Ich könnte den ganzen Tag nur danken für alles, was ich da einfach so habe und gleichzeitig weinen über diese Ungerechtigkeit in dieser Welt.
Dies alles motiviert mich aber unglaublich, weiter zu hoffen und zu glauben, dass unser Tropfen auf den heissen Stein weiterhin Früchte trägt, es motiviert uns, bereits wieder an eine Ausreise nach Guinea zu denken und zu hoffen, dass es bald wieder Flüge geben wird, die uns in das uns liebgewonnene Land und zu den lieben Leuten zurückbringen. Wir lassen uns von den vielen Schwierigkeiten nicht aufhalten, den Menschen Hoffnung zu bringen, sie zu ermutigen und sie auszubilden.
Ich wünsche mir sehr, dass auch wir Schweizer aus der Krise lernen, dass wir merken, dass weniger auch mehr sein kann. Wenn wir auf etwas verzichten, bleibt etwas mehr für diejenigen, die wenig oder nichts haben. Lasst uns diese Menschen nicht vergessen, sie können nichts dafür, dass sie keinen roten Pass haben!



Sie können es nicht glauben, dass wir weggehen!

Wie gross werden die sein, wenn wir zurückkommen?