Sonntag, 9. Juni 2019

Alltag mit Farbtupfer

Der Alltag in Conakry ist auch bei uns angekommen - nun sind wir also hier und werden, so Gott will, die nächsten Jahre in diesem Land leben. Dies kommt mir immer noch recht komisch vor und manchmal muss ich mich in den Arm kneifen: ist das wirklich so? Leben wir nun tatsächlich in Afrika? So richtig Alltag ist es aber wirklich nicht - so vieles ist noch ungewohnt und vor allem die kulturellen Unterschiede beschäftigen uns täglich. Wieviel von unseren Werten kann und will ich unseren afrikanischen Mitarbeitern vermitteln resp. aufpfropfen? Wo muss und soll ich mich anpassen - wo sollen die Mitarbeiter sich unseren Werten anpassen? Dies sind never-ending Fragen, und deshalb wird es eigentlich nicht so richtig alltäglich. Wo fängt Korruption an, wo hört sie auf? Wo bin ich involviert? In einem Land, wo es fast nichts gibt, ohne dass man korrupt ist und wird? Gebe ich dem Polizisten auf Platz gleich sein Taschengeld, oder wenn ich es nicht mache, dann verteile ich Stunden und endlose Diskussionen später auf dem Polizeiposten dem Polizisten und seinen 5 Kollegen ihr Taschengeld? Immer mal wieder packt mich auch die Wut über dieses korrupte System: warum muss ein Baby im Spital sterben, weil das Pflegepersonal die nötigen Medikamente anderweitig verkauft und das Geld eingesackt hat? Und zugleich wissen wir, dass die Spitalangestellten so schlecht bezahlt werden, so dass sie ohne "Nebenverdienste" nicht überleben können. Und dann gibt es diese unverhofften Farbtupfer im Alltag, die ich so liebe: die vielen Kinder, denen ich überall und immer begegne, die schon von weitem "Foté oder Porto" rufen, was so viel heisst wie: "Weisse" und mich unbedingt berühren möchten. Ich bewundere ihre gezöpfelten Köpfchen mit vielen farbigen Krälleli. Und dann die Freude über den eben installierten Wasserboiler! Ich habe jetzt heisses Wasser zum Abwaschen! Welche Wonne das ist - na ja, wenn wir dann Strom haben... Oder mein Basilikumbeet, das seit Wochen einfach grünt und wächst und ich unendlich viel Pestosauce machen kann. Da sind noch die süssen Ananas und Mangos, die ich mir jeden Morgen zum Frühstück leisten kann, weil sie für unsere Begriffe so billig sind. Und immer wieder sind Avocados vom Baum im Garten zu geniessen. Letzte Woche haben wir uns kindlich gefreut, als wir in der Nähe von uns ca. 100 m Sandstrand am Meer fanden, der täglich gereinigt wird. Nun können wir dorthin zum Lesen und aufs Meer hinausschauen! Ich bin irgendwie viel sensibler geworden für Schönes - vielleicht weil es so viel Schwieriges und Unschönes zu sehen gibt. Hier gibt es nur Überfluss an Armut, Krankheit und Abfall und kein Überfluss an Schönem, Gutem und Gesundem. So suchen wir die Perlen oder eben die Farbtupfer im Alltag und finden sie auch - nicht immer so offensichtlich aber oft sehr unverhofft und überraschend.
farbige Frisuren der Mädchen in unserem Quartier

Lesen ohne Abfallberge vor den Augen

unsere neuste Errungenschaft: ein Wasserboiler
Basilikum und kein Ende in Sicht



Avocadobaum im Garten